Im Dezember ’89 – einen Monat später als in der DDR – kam auch bei uns die Wende: Nach 15 langen und oft langatmigen Monaten Vorwärmzeit starteten wir ins Lebensprojekt Liebe: Rechtzeitig zum Weihnachtsfest begann unsere Freundschaft!
Nicht wie „man“ Freundschaft gestaltet, möchten wir beschreiben – aber gerne über unsere Erfahrungen und Entscheidungen in dieser wichtigen Zeit berichten. Sie war schön, unsere Freundschaft, aber sie stellte uns zugleich in kräftige Herausforderungen. Dass wir nun seit acht Jahren verheiratet – und dabei sehr glücklich – sind, ist uns deutliches Zeichen für den roten Faden der Liebe und Führung Gottes auf unserem Weg. So ist unser Anteilgeben zugleich ein kräftiges „Danke!“ für seinen spürbaren Segen.
Die ersten drei Abschnitte unseres Berichtes sind von Claudia, die letzten von Johannes geschrieben.
Ein Gespräch werden
Es ist das Geheimnis einer guten Freundschaft, ein Gespräch auf vielen Ebenen zu werden – seelisch, geistig, körperlich. Ich erinnere mich an viele lange Spaziergänge, wo wir einander aus unserem Leben erzählten. Das waren tiefe, glückliche Stunden, in denen durch Offenheit und Ehrlichkeit unser Vertrauen wuchs. Jeder brachte mehr als 20 Jahre eigener Lebensgeschichte mit, die prägend waren. Wie ermutigend, wirklich ehrlich sein zu können, ohne Maske sagen zu können: Sieh, so bin ich!
Echtes Zuhören erfordert Hinwendung und Aufmerksamkeit. Viele unserer Missverständnisse beruhten auf mangelnder oder unklarer Kommunikation. – In der Freundschaft kann die Kunst wachsen, transparent zu werden, ohne gläsern zu sein. Für mich war es ein Liebeserweis, nie zum Gespräch gedrängt zu werden, wo ich noch nicht dazu fähig war. Aber wir erlebten auch, dass bei wachsendem Vertrauen Sprachlosigkeit behutsam überwunden werden kann. Auch in gemeinsamem Schweigen konnten wir glücklich sein.
Ein Gespräch zu werden, hieß für uns: gemeinsam Bücher zu lesen, miteinander zu beten und Bibel zu lesen. Es hieß, Briefe zu schreiben statt permanent zu telefonieren, miteinander zu arbeiten, kreativ zu sein, über Gott und die Welt zu diskutieren. Es hieß, sich Schwieriges aus der Vergangenheit und Träume für die Zukunft mitzuteilen. Wichtig war, dass beide den Willen hatten, Zeit zu investieren.
Einander verstehen lernen, war manchmal harte Gesprächsarbeit für uns – zwei Charaktere prallten aufeinander. Johannes lernte meinen großen Gesprächsbedarf zu achten und sich seelisch tiefer mitzuteilen; ich lernte, das zu schätzen, was er nicht durch Worte, sondern durch Taten ausdrückt.
Wichtig war für uns auch das Gespräch mit anderen Paaren – solchen, die ähnlich „weit“ waren und solchen, die schon lange verheiratet sind. Und auch durch ein „Seminar für Verliebte und Verlobte“ bekamen wir viele Impulse für unser Lebens-Gespräch.
Der Blick über den Zaun
Frisch verliebt sehnt man sich nach nichts anderem, als den Partner ganz für sich allein zu haben: Stunden der Zweisamkeit bauen enorm auf! Aber es kann nie darum gehen, „Egoismus zu zweit“ zu leben, sich abzukapseln oder Aufgaben an anderen zu vernachlässigen. Uns beschäftigte der herausfordernde Satz des Paulus: „Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine“ .Es war uns wichtig, die Kontakte zu unseren ledigen Freunden nicht aufzugeben. Wir lernten uns dabei im Umgang mit Dritten besser kennen, und die Singles konnten einige Illusionen über die „vollkommene Romantik“ abbauen. Wir entschieden uns, einander freizugeben für den bereits bestehenden Freundeskreis, für Dienste in der Gemeinde und in der SMD. Dabei erlebten wir, dass Gott diese Bereitschaft segnet – wir kamen emotional nicht zu kurz, und die Freundschaft blieb lebendig, weil sie nicht um sich selbst kreiste. Im Blick auf eine eineinhalbjährige Trennungszeit wegen meiner Mitarbeit in einem IFES-Team1 war uns klar, dass Gottes Wege mit uns im Zentrum stehen sollen, auch mit den Schmerzen, die das mit sich bringt. Schon vor Beginn der Freundschaft war diese Berufung klar, und so lernten wir – manchmal mit Mühe Gott ganz zu vertrauen und uns gegenseitig loszulassen für ihn. Während jüngere Freunde meist skeptisch waren („Wer weiß, ob ihr zusammenbleibt …“), machten uns ältere Paare Mut, dass der Herr uns in dem Auf und Ab einer räumlichen Trennung trägt. Sie haben Recht behalten!
In der Trennung lernten wir: Es gibt kein „Recht“ aufeinander, jeder gemeinsame Tag ist ein Geschenk. Und wo wir als Jünger in Gemeinschaft mit anderen Christen stehen, sind wir Teil einer liebenden, tragenden Familie. Unsere erste, bleibende Loyalität gilt Jesus Christus, während der Partner für eine gewisse Wegstrecke des Lebens geschenkt wird.
Geistliche Einheit – Wunschtraum oder Selbstverständlichkeit?
Wir waren beide in der SMD, hatten lebendige Gemeinde erlebt und einige Jahre als Christ hinter uns – sollte das nicht als Basis zu optimaler Einheit genügen? Wir haben in diesem Bereich anfangs einige Nöte miteinander gehabt, vieles gelernt und auch Gottes Herrlichkeit erlebt.
Gerade mit dem geistlichen Vergleichen hatten wir Probleme. Wichtig wurde uns: Jeder steht und fällt seinem Herrn! Unterschiedlicher Frömmigkeitsstil kann von Jesus her eine große Chance sein, die eigene Prägung zu überdenken. Wir erlebten, dass wir beide verändert wurden und die Einheit durch geduldiges Vertrauen zu Jesus und Fürbitte füreinander wuchs.
Während ich mir vor der Freundschaft einen Mann erträumte, der mir geistliches Vorbild ist, empfand Johannes mich als „geistlich stark“ und damit bedrohlich. Beide merkten wir, wie wichtig es ist, Väter und Mütter im Glauben zu haben, die uns in dieser Hinsicht Vorbilder sind.
Geistliche Einheit ist nur möglich auf der Basis geistlicher Selbständigkeit – jeder von uns braucht sein eigenes geistliches Leben. Wir lernten, dass wir einander geistliches Gegenüber werden, indem jeder allein vor Jesus steht und sich umgestalten lässt. Es war ein langsamer, manchmal schmerzlicher Prozess des Wachsens. Als es mir schwer fiel, Johannes Freiraum für seine eigene Stille Zeit zu lassen, stellte meine Seelsorgerin mir gute Fragen: „Was willst du? Einen schmalen, schwachen Baum, der im dichten Wald wuchs, gestaltlos ist und den jeder Wind umschlägt? Oder eine starke Eiche mit prägnanter Form, die auf freiem Feld wuchs und dem Sturm standhält, weil sie tiefe Wurzeln hat?“
Auch die Art unserer Zweifel war sehr unterschiedlich. Für mich war nie die Frage, ob Gott existiert, wohl aber in Krisen, ob er der liebende Vater sei. Bei Johannes war es genau umgekehrt! Auf dem Weg zur Gemeinschaft wurde es uns wichtig, viel Gespräch zu haben über unsere Sicht der Bibel, über Gottesverständnis, Gestaltung von Stille, Umgang mit Anfechtung.
Manchmal haben wir Angst gehabt: Wird der andere mich irgendwo hinziehen, wo ich unter keinen Umständen landen will? Werden wir einen guten Weg finden, Evangelikales, Charismatisches und Lutherisches unter ein Dach zu bringen? Da gilt: „Furcht ist nicht in der Liebe“
Zärtlichkeit und Sexualität entfalten
Wie viele Paare vor uns machten auch wir die tolle Entdeckung: Zärtlichkeit und Sexualität sind großartige Geschenke Gottes – durch sie können wir unserer wachsenden Zuneigung und Vertrautheit Ausdruck geben, durch sie wird unsere Liebe erst ganzheitlich und „rund“. Wie gut, dass unser Gott nicht leibfeindlich ist!
Doch was für Claudia einfach spannendes Neuland war, löste bei mir eher Ängste aus: Werde ich es lernen, mit der Sexualität und ihrer Dynamik so umzugehen, dass sie unsere Beziehung nicht in ungesunder Weise dominiert? Aber diese Sorge erwies sich als unbegründet: Es kann tatsächlich gelingen, dass Zärtlichkeit zwischen uns wächst, ohne dass wir sexuellem Drängen einfach ausgeliefert sind – oder uns verkrampft dagegen wehren. Das erfuhren wir als großes Geschenk Gottes, aber ebenso als Frucht bewusster Entscheidungen über Ziel und Gestaltung unserer Zärtlichkeit vor der Ehe.
Sehr früh sprachen wir darüber, vor der Ehe nicht miteinander schlafen zu wollen – biblisch wie auch wachstumsmäßig wäre es falsch gewesen, diesen einen Bereich herauszureißen und vorwegzunehmen. Dabei wurde uns schnell klar, dass dieses Ziel ohne den Weg nicht zu haben ist: Er wird noch nicht gut durch Grenzmarkierungen, sondern durch bewusste Gestaltung. Unser Bild dafür war das Besteigen eines Berges: Wir fliegen nicht mit dem Helikopter bis fast zum Gipfel, sondern klettern so gemächlich, dass wir keine Blume am Wegrand auslassen – sprich: Wir wollen die vielen kleinen und zarten Gesten der Liebe Schritt um Schritt entdecken und stehen dabei unter keinerlei zeitlichem Druck. Dieser Weg hat für uns auch im Rückblick nichts von seiner Schönheit verloren – in einer Welt, die alles sofort haben muss, ist es gut, einmal sehr bewusst Spannung, Vorfreude und – noch unerfüllte – Sehnsucht erlebt zu haben!
Das Klischee stürmischer Mann – bremsende Frau war uns nicht hilfreich und für mich eher abstoßend: Ich wollte es lernen, mit Claudia über Zärtlichkeit zu sprechen und mit ihr unseren Weg zu gestalten.
Die lange Trennungszeit erwies sich als besondere Aufgabe: Man würde so gerne an einem Wochenende alles nachholen, was man in acht Wochen vorher vermisst hat … Oft sprachen wir über unser Auftreten in der Öffentlichkeit, über die Grat-wanderung, die ein unverkrampftes Miteinander und die Rücksicht auf andere (Singles, Ex-Befreundete …) verbindet. Bewegt hat uns dabei immer neu die Spannung, dass Gott uns große Freiheit schenkt, uns aber auch in Lebensräume (SMD- Gruppe, Mitstudierende …) stellt, denen wir nicht individualistisch entfliehen sollen, weil unser Vorbild sie mitgestaltet.
Was tun, wenn die Träume zerbrechen?
Vielleicht ist es gut, dass (fast) jede Freundschaft mit dem Traum beginnt, „dass unsere Liebe ganz anders wird als alle bisherigen“. Unsere begann auch so – sicher noch verstärkt durch unsere Herkunft aus sehr konfliktarmen Elternhäusern und die (an sich ja zutreffende) Vermutung, dass es in Konflikten meist nicht ohne Sünde abgeht: „Siehe, wie fein und lieblich ist’s …“. Aber auch für uns war der Traum bald ausgeträumt – und unsere Freundschaft erwies sich als wichtige Lernzeit in Sachen Konfliktbewältigung. Zu lernen war vor allem der Umgang mit der Enttäuschung, dass das so geliebte Gegenüber auch Sünder ist und durchaus nicht willens, alle meine Wünsche zu erfüllen. So hat uns unsere Freundschaft noch einmal tiefer gezeigt, wie weit unsere Selbstbezogenheit geht und wie sehr wir Gottes Gnade brauchen.
So schmerzhaft das ist – wir sind dankbar, dass wir in der Freundschaft lernten, Konflikten nicht auszuweichen, aber auch Wege zu ihrer Begrenzung einzuüben (das ist für die Ehe dann ausgesprochen hilfreich!). Je näher mir der andere ist, desto größer ist mein Wissen um seine Schwachpunkte und die Versuchung, ihn gerade hier zu verletzen. Wir haben oft darum gerungen – und tun es noch immer -, den Tag nicht unversöhnt zu beenden, dem Gift, das in Konflikten oft liegt, keinen weiteren Wirkungsraum zu geben: „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen, und gebt nicht Raum dem Teufel“ .
Noch tiefer als Konflikte geht, was wir „Nöte“ nennen: Probleme in uns, die wir in die Freundschaft mitbrachten und die einen bleibenden Schatten warfen. Am schmerzlichsten trafen uns Minderwertigkeitskomplexe, die ich „einbrachte“ und die sich an Claudias Gaben und Stärken entzündeten. Die daraus wachsende Frustration ging bei uns beiden to tief, dass unsere Beziehung dadurch manchmal gefährdet war. Gott schenkte an diesem Punkt Loslassen und einen gültigen Neuanfang – dafür sind wir ihm dankbar. Aber es blieben bei uns beiden Schwächen, mit denen wir schon in der Freundschaft leben lernen mussten, wo sich immer neu die Frage stellte: Erträume ich mir den Partner nach meinem Bild, oder erbitte ich mir
von Gott Kraft und Phantasie, ihn auch in dem geduldig zu tragen, was mir Mühe macht?
Drum prüfe ewig, wer sich bindet… – auf dem Weg zur Ehe
Wollen wir das wirklich, was unsere Liebe uns nahelegt – nämlich vertiefte Verbindlichkeit und schließlich ausschließliche Bindung auf Lebenszeit?
Wir nahmen beide Stimmen wahr: die „moderne“ Sicht, möglichst viel offen zu lassen, mit Verbindlichkeit eher zu warten, auf Sicherheiten zu setzen – und die andere, die vor allem ältere Ehepaare überzeugend (und oft sehr radikal) vertraten: Beziehungen können in die Tiefe wachsen, wo man sich fest aneinander bindet und – aus Liebe – Alternativen ausschließt. Diese zweite Grundhaltung hat uns immer stärker fasziniert, und mit ihr haben wir gute Erfahrungen gemacht:
So sprachen wir schon am Beginn unserer Freundschaft über die Ehe als Wunsch und Ziel (was die Freiheit zum Aussteigen natürlich einschloss!). Weil wir wussten, dass wir beide grundsätzlich aneinander festhalten wollten, konnten seelische Offenheit und Vertrauen zueinander wachsen. Besonders deutlich wurde uns das, als ich (in einer Zeit, wo uns vieles Mühe machte) Claudia versprach, ich werde sie nie wegen einer anderen Frau verlassen. Diese Zusage ermöglichte es ihr, sich noch einmal viel tiefer auf mich einzulassen und war ein wichtiger Schritt auf unsere Verlobung hin.
Die Angst, die uns vor solchen Zusagen beschlich, war die des Versagens und Schuldigwerdens aneinander. Wer bin ich, dass ich für meine Treue und Liebe garantieren kann? Aber diese Angst ist überwindbar: Der letzte Halt für unsere Verbindlichkeit liegt nicht in uns selbst, sondern in dem liebenden Gott, der uns dazu die Kraft schenkt. Und wo wir versagen, ist er es, der die Liebe erneuert.